Sittenwidrigkeit der Ausschlagung einer Erbschaft bei bestehender Sozialhilfebedürftigkeit

Sittenwidrigkeit der Ausschlagung einer Erbschaft bei bestehender Sozialhilfebedürftigkeit (OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2009 – I 15 Wx 85/09)

Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führt, dass dann ein Sozialleistungsanspruch für nicht unerhebliche Zeit fortbesteht, verstößt gegen die guten Sitten, wenn nicht ausnahmsweise legitime Interessen des Erben geeignet sind, die Ausschlagung nachvollziehbar zu motivieren.

 


Zu dieser Auffassung kam das Oberlandesgericht Stuttgart anlässlich der beantragten Genehmigung einer Erbausschlagung durch einen Betreuer für seinen Betreuten.

Der Betreute und Erbe war aufgrund eines Verkehrsunfalles schwerbehindert. Den überwiegenden Teil der erforderlichen Heimunterbringungskosten trug der Sozialhilfeträger. Der Betreute wurde gemeinschaftlicher Erbe zusammen mit seinem Bruder nach seiner Mutter zu ½ . Der Nachlasswert betrug jedenfalls 50.000,00 €. Der Betreuer des Erben  - sein Onkel – erklärte die Ausschlagung der Erbschaft und ließ für die Erklärung die erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung beantragen. Mit dem Genehmigungsantrag wurde dem Vormundschaftsgericht ein Vertrag zwischen dem miterbenden Bruder und dem Betreuten - vertreten durch den Betreuer - vorgelegt. In diesem verpflichtete sich der Bruder dem betreuten Erben praktisch als Gegenleistung für die Ausschlagung "nach billigem Ermessen solche Geld- und Sachleistungen zukommen zu lassen, die zur Verbesserung seiner Lebensqualität beitragen, auf die der Sozialhilfeträger aber ... nicht zugreifen kann und die auch nicht auf die ... gewährten Sozialleistungen anrechenbar sind".

Das OLG betrachtete die Ausschlagung als sittenwidrig und verweigerte die Genehmigung der Ausschlagung. Es begründete seine Entscheidung wie folgt:

Die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft, die dazu führt, dass ein ansonsten für eine nicht unerhebliche Zeit ausgeschlossener Sozialleistungsanspruch fortbesteht, verstößt gegen die guten Sitten, wenn nicht ausnahmsweise legitime Interessen des Erben geeignet sind, die Ausschlagung nachvollziehbar zu motivieren. Derjenige, der sich in der Situation befindet, dass er auf Sozialleistungen angewiesen ist, nimmt für sich die durch das Sozialstaatsprinzip verbürgte Solidarität der staatlichen Gemeinschaft in Anspruch. Nimmt er in dieser Situation einen ihm angetragenen Vermögenserwerb nicht wahr, so verweigert er umgekehrt der Gemeinschaft eben diese Solidarität, indem er rechtlich eine Bedürftigkeit vorschützt, die wirtschaftlich nicht besteht bzw. nicht bestehen müsste.

Im Ergebnis hat somit der betreute Erbe hier zunächst seinen Erbanteil zu verbrauchen, bevor er wieder Sozialhilfeleistungen beziehen kann.

Kommentar: Die Frage, ob die Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft durch einen Sozialhilfeempfänger sittenwidrig ist und damit unbeachtlich wird, ist durchaus umstritten. Anzumerken ist jedenfalls, dass der Bundesgerichtshof das sog. Behindertentestament, bei dem der Erblasser ebenfalls u.a. einen Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den Erbteil eines sozialhilfebedürftigen behinderten Erben verhindern will, als nicht sittenwidrig beurteilt hat sowie, dass auch das Insolvenzrecht es hinnimmt, dass ein Schulder eine ihm anfallende Erbschaft nicht annimmt oder einen Pflichtteil nicht geltend macht. Es handelt sich aber um die zweite obergerichtliche Entscheidung die Sittenwidrigkeit einer Ausschlagung bei Sozialhilfebezug annimmt (anderer Auffassung z. B. LG Aachen, Beschl. v. 04.11.2004 – 7 T 99/04), sodass in der Praxis damit gerechnet werden muss, dass der Sozialhilfeträger bei entsprechenden Fällen sich erfolgreich auf Sittenwidrigkeit beruft.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

BRAUER RECHTSANWÄLTE

Harscampstr. 81
52062 Aachen

 

Tel.:

0241- 435243 - 08

0241- 435243 - 10

 

Fax:

0241- 435243 - 09

 

Internet:

www.brauer-anwaelte.de

 

email:

ub@brauer-anwaelte.de

fb@brauer-anwaelte.de

 

Bürozeiten:

Montag - Dienstag u. Donnerstag :   9.00 Uhr - 13.00 u. 14.30 Uhr - 17.00 Uhr

Mittwoch u. Freitag:                                9.00 Uhr - 13.00 Uhr

 

Photo by Beatriz Pérez Moya on Unsplash